Kurz.ge.schich.te No°32 {Zalando Lodge}
Liebe BlogleserInnen
Lange gab es hier keine Kurzgeschichte mehr. Irgendwo fehlte immer die Zeit oder die Lust. Geschichten habe ich zwar ständig im Kopf, denn das Leben bietet ja viele davon. Aber diese auf Papier oder in die Tasten zu bringen, dauert manchmal etwas. Umso freudiger gibt es heute die 32. Geschichte aus Paula's Haus. ;-)
Zalando Lodge
Es ist zum Verzweifeln. Seit Wochen wartet Annegret Bösch auf einen freien Platz im Altersheim. Neben Arbeit, Haushalt und Kindern bleibt kaum Zeit, sich um ihren betagten Vater zu kümmern. Und das Gesäuse der Spitexfrauen geht ihr langsam auf den Kicker, genauso wie die Besserwisserei ihrer Geschwister. Auf Anraten ihrer Freundin Theres ersucht Annegret um einen Termin bei der Leiterin des Sozialdienstes. Sie will der Dame auf dem Gemeindeamt einmal richtig einheizen. Wozu zahlt man denn Steuern und rackert sich ab?
Annegret überlässt den Termin nicht dem Zufall, auch nicht das Outfits dieses vielversprechenden Treffens. So bestellt sie sich im Internet einen Rock mit Bluse, Blazer und einem schönen Schal. Glücklicherweise finden sich auch passende Schuhe im Angebot. Nur welche Größe soll es denn sein? 38 oder 38.5? Um kein Risiko einzugehen, entschließt Annegret die Artikel in mehreren Ausführungen zu bestellen. Unpassende Sachen kann sie später kostenlos zurücksenden, so verspricht es das Versandhaus.
Neben einer positiven Erscheinung seien gute Argumente das A und O, meint ihre Freundin Theres. Im Internet findet Annegret ein vielversprechendes Sachbuch. Klick, schon ist das Buch mit dem Titel: „Richtig argumentieren: Oder wie man in Diskussionen Recht behält." in den Warenkorb des Onlineshops gehüpft.
Wenige Tage später treffen die bestellten Produkte bei Annegret ein. Füllmaterial und Kartonschachteln verstaut sie im Schrank bei der Sammlung für den Ökihof. Der Sack mit den Schachteln quillt aus allen Nähten. Aber zum Entsorgen hat Annegret keine Zeit. Die verbleibenden Tage bis zum Termin will sie optimal nutzen.
Dann ist es endlich soweit. Erhobenen Hauptes zieht Annegret zum Gemeindehaus los. Ein wenig nervös ist sie schon, aber ihre Freundin Theres hat sie ermutigend in den Vorbereitungen unterstützt. Hoffnungsvoll betritt Annegret das Büro der Sozialvorsteherin. Diese begrüßt sie freundlich und kommt gleich zur Sache. Auf das Argument, es sei leider im Moment kein Platz frei im Altersheim, weiß Annegret dank ihrer Fachlektüre von Amazon prompt eine Antwort: „Dann schaffen sie halt neue Plätze. Es wird ja wohl genug Geld vorhanden sein für die Einheimischen. Oder haben sie schon alles an die Ausländer verteilt?" Annegret streicht über ihren neuen Zalando Rock und gibt sich siegessicher. Frau Müller, die Sozialvorsteherin, lässt sich nicht provozieren und antwortet gelassen: „Ja wissen sie, so einfach ist das nicht. Die letzten Jahre floss tatsächlich sehr viel Geld ins Ausland." „Sag ich doch!", zischt Annegret Frau Müller ins Gesicht. Frau Müller schaut Annegret ruhig an und meint verständnisvoll: „Ja dann wissen sie ja sicher, dass der Schweizer Wirtschaft viel Geld entgangen ist wegen den Einkäufen im Ausland?" „Was hat das jetzt mit unserem Altersheim zu tun?", fragt Annegret aufgebracht. „Das können sie sich selber ausrechnen. Es fehlen jedes Jahr Steuereinnahmen aus zehn Milliarden Umsatz. Von den AHV Beiträgen der ausgefallenen Löhne nicht zu sprechen. Wenn Amazon, Zalando und Co. in der Schweiz Steuern bezahlen würden, sehe die Situation sicherlich etwas besser aus." Annegret weiß nicht wie ihr geschieht, sie wird bleich im Gesicht und die darauf folgende Schamesröte entschuldigt sie mit den Wechseljahren. Frau Müller hat beinahe Mitleid mit Annegret Bösch. Annegret entfernt verlegen ein Haar von ihrer Zalando Bluse. Diese verliert im Bewusstsein des Onlineeinkaufes jeglichen Glanz. „Und was schlagen sie jetzt vor?", fragt Annegret kleinlaut, „Ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich schaffe es nicht meine Kinder, den Haushalt, die Arbeit UND die Betreuung meines Vaters unter einen Hut zu bringen." Annegret ringt um ihre Fassung.
Frau Müller schaut ermutigend in die weinerlichen Augen von Frau Bösch. „Machen sie sich keine Sorgen. Wir arbeiten an einem vielversprechenden Projekt. Leider ist es zu früh, etwas darüber zu sagen. Aber es gibt Hoffnung, dass ihrer Bitte bald Rechnung getragen wird." Annegret schöpft neuen Mut. „Was meinen sie mit bald?" „Wie gesagt, es ist zu früh für ein Versprechen, aber sobald es Neuigkeiten gibt, werden wir sie informieren."
Mit gemischten Gefühlen verlässt Annegret das Büro des Sozialamtes. Das war sicher wieder irgend so eine Ausrede, denkt sich Annegret. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wie ihre Großmutter immer zu sagen pflegte. Zu Hause zieht sie Rock, Bluse, Schuhe und Schal aus, verpackt alles fein säuberlich in der Zalando Schachtel aus dem Entsorgungssack und bringt das Paket noch am selben Tag zur Post. Es fühlt sich an wie glühend heisse Kohle. Als Rücksendegrund gibt sie an: Herkunftsland entspricht nicht der Vorstellung.
Zwei Wochen später erhält Annegret ein Schreiben des Sozialamtes. Neugierig reißt sie den Umschlag auf und faltet den amtlichen Brief, bestehend aus mehreren Seiten, auseinander.
„Sehr geehrte Frau Bösch. Wie bei unserem Gespräch erwähnt, arbeitet die Gemeinde mit Hochdruck an einer Lösung zur Behebung der mangelnden Pflegeplätze. Gerne informieren wir sie über das neue Projekt. Inspiriert von den chinesischen Behörden, welche inert weniger Tage ein Notfallspital errichtet haben, wird die Gemeinde, analog zum bestehenden Gebäude des Alters- und Pflegeheimes, ein Notfallheim errichten. Dank dem Kartonüberschuss aus den Onlinebestellungen sind wir in der glücklichen Lage, umgehend auf hochwertiges, stabiles Recycling Baumaterial zurückzugreifen. Aufgrund seiner Beschaffenheit und Verarbeitung mit Hohlräumen hat Karton eine isolierende Wirkung. Er eignet sich besser als Beton, um den Wärmefluss zwischen dem Inneren und Äußeren der Wände zu regulieren. Daher werden Kartonagen aus Wellappe gerne zum Bauen von Gebäuden genutzt. Wellpappe ist stabil, aber dennoch äußerst formbar. Dies ermöglicht uns eine Vielzahl von Gebäudevarianten. Welcher Karton zum Einsatz kommen wird, ob Amazon, Aliexpress oder Zalando, bestimmen unsere Fachberater anhand des Baubededarfs.
Die liebevolle Pflege der Bewohner und Bewohnerinnen wird auf Rücksprache mit dem Netzwerk Integration von Mitgliedern aus Eritrea, Syrien und Lybien übernommen. Die rekrutierten Mitarbeiter sind hochmotiviert und freuen sich auf die neue Herausforderung. Mit dem neuen Projekt kann das Gemeindebudget Länder- und Altersübergreifend, sowie nachhaltig entlastet werden. Gerne reservieren wir für Ihren Vater, Hansjakob Langensand, ab dem 1.April ein Bett in der neu erstellten Zalando Lodge. Die von der Stiftung Amazon geführte Zalando Lodge liegt, umgeben von einer herrlichen Bergwelt, inmitten unseres Dorfes. Um ihnen das Warten auf den ersehnten Termin zu verkürzen, haben wir Ihnen die Pläne des neuen Recyclingheimes beigelegt. Weitergehende Informationen finden sie auf unserer Homepage www.zalando-lodge.ch. Freundliche Grüße Doris Müller, Vorsteherin Sozialamt."
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Diese Geschichte spuckte mir schon länger im Kopf rum. Ein Sammelsurium an Nöten, Sorgen und Problemen, die unsere Gesellschaft und die Politik umtreiben. Wenn es denn nur so einfach wäre, eine Patentlösung für alle Probleme auf einmal zu schaffen.
Liebe Grüsse Paula
2 Liebe Worte
Uahhahhaahaaa! Herrlich! Mich hat's ja schon fast geschält vor lachen beim Gesäusel der Spitexfrauen... hatte gerade heute so ein Exemplar am Telefon...
AntwortenLöschenDanke für die Lacher!
Ich hab da auch eine Idee, wie ich die Kurzgeschichten wieder angehen könnte... mal sehen, wann ich die Zeit finde...
Herzlich, Monika
Liebe Paula,
AntwortenLöschenbewundernswert wie schön Du verschiedene "heisse Eisen" in Deiner Geschichte miteinander verbunden hast.
viele Grüße Margot
Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.