Wir haben die Wahl
Bis vor einigen Jahren war mein Lebensmittel-Konsum ziemlich sorglos. Ich habe mir keine grossen Gedanken gemacht, wo und wie Gemüse und Früchte angebaut werden. Ich vertraute darauf, dass Felder und Tiere in der Schweiz im Sinne der Umwelt bewirtschaftet werden. Erst das Massensterben von Fischen, Bienen und Vogelarten liess mich aufhorchen. Der Zustand unserer Natur veranlasste mich, genauer hinzuschauen. Und was soll ich sagen? Ich bin erschrocken. Unser Konsum ist ein Rattenschwanz an Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Alles, aber auch wirklich alles was wir konsumieren, hat eine Auswirkung auf die Ökologie.
In den Gemüseregalen der Grossverteiler gleicht eine Rübe der andern, selbst die Tomaten sind alle gleich gross. Um die Nachfrage nach Perfektion zu erreichen, produzieren Bauern vorsorglich Übermengen. Um möglichst hohe Erträge zu erreichen, werden Felder mit Pestiziden besprüht, um sie vor Schädlingen zu schützen. Zu viel produziertes Gemüse und nicht der Norm entsprechendes wird meist vernichtet. Entweder man lässt es auf dem Feld verrotten oder man entsorgt es in einer Biogasanlage. Doppelte Arbeit für den halben Ertrag. Ähnlich sieht es bei den Milch- und Fleischbetrieben aus. Um möglichst hohe Erträge zu erreichen, werden Tiere mit Kraftfutter versorgt, was wiederum mehr Gülle und eine Übersäuerung der Böden hervorruft. Tiere werden teilweise prophylaktisch mit Antibiotika vor Krankheiten geschützt. Unsere Gesetze bestimmen via Direktzahlungen, wie Bauern ihre Betriebe zu bewirtschaften haben, damit es rentabel ist. Und auch die Grossverteiler bestimmen zu grossen Teilen über den Preis, die Anbaumengen und die Erntezeit. Die Bauern kämpfen untereinander (gegeneinander) um jeden Quadratmeter Agrarland, um möglichst viel zu produzieren.
Als Konsumenten stehen wir ganz am Schluss der Lebensmittelkette. Wir haben die Qual der Wahl zwischen Konventionell, Bio, Ausland, Inland, Regional, Demeter, Fairtrade, Freiland, Massentierhaltung, Hochstamm und so weiter. Die Auswahl ist riesig. Wir können aus einem Meer an Produkten wählen. Alles wird pikfein präsentiert. Was nicht verkauft wird, landet zum grössten Teil im Abfall. Am nächsten Tag werden neue Gemüse in die Regale geräumt. Und auch in den Haushalten sieht es vielerorts ähnlich aus. Was nicht mehr ganz frisch aussieht, wird entsorgt. In der Schweiz werden fast 50% der angebauten Gemüse und Früchte weggeworfen!!! Auf den Feldern, in den Läden und Restaurants oder zu Hause.
Wenn man wie ich, vierzig Jahre leicht gedankenlos konsumiert hat, ist der Weg steinig. Ich habe zwar kaum Lebensmittel weggeworfen, aber es ist anstrengend, bei jedem Produkt zu hinterfragen, wo und wie es produziert wurde und welche Inhaltsstoffe es enthält. Ob es im In- oder Ausland hergestellt wurde. Ob es Palmöl enthält oder nicht. Ob es gespritzt wurde oder nicht. Wenn man einmal damit anfängt, wird einem halb schwindlig. Der Preis spielt eine weitere Rolle. Bio- und Naturprodukte sind meist um einiges teurer als konventionell hergestellte Produkte. ABER, und das finde ich spannend, ich entdeckte dank diesem Weg viele Alternativen. Zum einen günstigere, vor allem aber geschmackvollere. Unter dem Strich bezahlen wir heute für unseren Warenkorb nicht mehr als vorher.
- Fleisch beziehen wir direkt von einem Bauer aus dem Dorf, zu einem günstigeren Preis des Detailhandels. Vorausgesetzt man ist bereit alles zu verwerten, auch durchzogene Fleischstücke. Der Unterschied beim Geschmack ist erheblich genussvoller.
- Das Gemüse kaufe ich vorwiegend von einem Bio-Bauer aus der Region. Dieses kostet mehr als konventionell hergestelltes. Dafür ist es unvergleichlich in Geschmack und Haltbarkeit. Und mir wurde wieder bewusst, welche Gemüse wann Saison haben.
- Bio-Milchprodukte kosten nur merklich mehr als Konventionelle.
- Brot backe ich fast ausschliesslich selber, mit Schweizer Bio-Mehl von einer Mühle aus der Nähe.
- Einen beachtlichen Preis-Unterschied bieten Alternativen von Markenprodukten. So kosten Bio-Gurken im Glas zum Beispiel weniger als jene eines bekannten Markenproduzenten. Dort lässt sich viel Geld einsparen, da Markenprodukte meistens viel mehr kosten als No-Name Produkte und nebenher nicht in Bio Qualität sind.
- Selbsthergestellte Speisen wie Spätzle, Kuchenteig, Brote, Salatsaucen, Brotaufstriche, (Eis-)Tee, und vieles mehr, kosten deutlich weniger, als Fertigprodukte. Sie sind zudem ohne jegliche Zusatzstoffe
- Regionale Lebensmittel halten länger, da sie erst kurz vor dem Verkauf geerntet wurden und nur kurze Transportwege aufweisen (weniger Foodwaste)
In zwei Wochen stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über zwei Initiativen ab, die den meisten Bauern schwer auf dem Magen liegt. Über die Pestizid-Initiative und die Trinkwasser Initiative. Zwei Vorlagen, die das gleiche Ziel verfolgen, aber unterschiedlich gewichtet sind. Plakate wie diese sieht man in meiner Region keine. Umso überraschter war ich, als ich diese im Jura bei vielen Bauernhöfen entdeckte, ännet dem Röstigraben.
Beim Lesen der Initiativtexte wird schnell klar, dass ein Ja einschneidende Veränderungen im Agrarwesen bedeuten würde. Verständlich, dass sich die Bauern mit aller Kraft dagegen wehren. Und die Agrar-Lobby, welche Pestizide und Saatgut vertreibt. Niemand hat Lust, fremdbestimmt zu werden. Viele haben Angst um ihre Umsätze, Existenzen und einschneidenden Veränderungen. Als ehemalige Bauerntochter schlägt mein Herz in zwei Welten. Ich weiss, wie viel Schweiss in der Arbeit der Bauern steckt. Wie viele Vorschriften der Bund und unsere Gesetzte machen. Im Gegenzug beobachte ich mit Schrecken, wie die Vogel- und Bienenbestände in den letzten Jahren drastisch abgenommen haben. Ich erlebe, wie unsere Wälder immer ruhiger werden. Und wie sich farbenprächtige Blumenwiesen über die Jahre zu eintönigen Löwenzahnwiesen verwandelt haben. Und ich habe miterlebt, wie Insektenspuren von den Frontscheiben der Autos verschwunden sind.
Ich bin gespannt wie die Abstimmungen ausfallen. Im Moment liegen die Befürworter der beiden Agrar-Initiativen im Rückstand. Es bleibt offen, ob der Bauernstand am 13. Juni erschüttert wird. Es wird hart diskutiert.
Berichte wie diese lassen mich verzweifeln.
Geschichten wie diese lassen mich hoffen.
Und es gibt immer wieder hoffnungsvolle Projekte, um zum Beispiel Food-Waste zu vermeiden.
Letztlich muss jeder und jede Stimmbürger*in für sich entscheiden, was ihm/ihr wichtig ist. Die Abstimmung beginnt mit unserem Warenkorb und unserer Einstellung. Wir haben jeden Tag die Wahl, uns für oder gegen die Umwelt zu entscheiden. Unser Lebensstil entscheidet. Ich wünsche mir für die Natur, dass ein Wandel stattfindet und für die Bauern, dass ihre Arbeit von den Konsumenten mehr wertgeschätzt wird. Ich bin überzeugt, die Landwirtschaft bietet für alle genug zu Essen, wenn wir sorgsamer damit umgehen und keine Lebensmittel wegwerfen.
Das Umweltproblem steckt aber nicht nur in der Produktion und Konsumation von Lebensmitteln. Auch Putzmittel, Kosmetika und unser Reiseverhalten entscheiden tagtäglich für oder gegen die Umwelt. Wir haben die Wahl, Schritt für Schritt... etwas zu ändern.
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Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, unseren Balkon mit Gemüse und Beeren zu bepflanzen. Einiges säe ich selber an. Zum einen aus Experimentierfreude, zum andern, um den Kindern zu zeigen, wie viel Zeit und Mühe es braucht, bis ein fertiges Produkt entsteht. Anfangs habe ich es mit Tomaten versucht. Aber diese mögen unseren zügigen Balkon auf 1000 Meter über Meer nicht besonders. Und sie brauchen unglaublich viel Wasser. Vor vier Jahren habe ich die Tomatenkisten mit Himbeeren ersetzt. Und siehe da, sie lieben unseren Standort und überleben in den Kisten auch eisig kalte Winter wie den letzten. Auch der Wasserbedarf ist viel geringer als bei Tomaten. Immer wieder probiere ich Neues. Dieses Jahr Bergauberginen und Süsskartoffeln. Es gelingt nicht alles. Mittlerweile weiss ich aber, was in meinen Breitengraden möglich ist. Beim Salat ist die Ernte immer reichlich. Als Farbtupfer ergänzen essbare Blüten wie Kapuzinerkresse und Boretsch unseren Balkongarten.
Eine grosse Hilfe ist unser Treibbeet, in dem ich bereits im März den ersten Salat säe, um ihn vor Schnee und bitterkalten Nächten zu schützen. Dieses Jahr habe ich zudem aus Töpfen einen Erdbeerturm gebaut. Ich bin gespannt, wie sie gedeihen. Die Blüten sehen vielversprechend aus. Der kleine Zwerg raucht derweil gemütlich seine Pfeife und bewacht unser Grünzeugs. :-)
Schädlinge wie Mehltau und Läuse entgegne ich in unserem Bio-Balkongarten mit allerlei Naturmitteln. Lavendelspray zum Beispiel oder mit Milch. Ich gehe da ähnliche Wege wie bei meiner eigenen Gesundheit und versuche es auf natürliche Weise. Beim Salat habe ich auf eher herbe Sorten umgestellt, da Kopfsalat gerne von Schmetterlingen zur Eiablage und anschliessend als Futter verwendet wird. Allerdings bin ich dort manchmal gespalten, ob ich jetzt den Schmetterlingen oder meinem Essvergnügen Rechnung tragen soll. :-) Ihr seht, alles hängt irgendwie zusammen. Aber wenn wir bereit sind, auf das ein und andere zu verzichten und dafür anderes zu entdecken, kann es uns gemeinsam vielleicht gelingen, dass unsere Wiesen wieder bunter, unsere Wälder wieder lauter und das Grundwasser in gewissen Gebieten wieder genüsslicher wird. Dafür braucht es aber die Bereitschaft jedes einzelnen. Wir haben die Wahl ...
Liebe Grüsse Paula
5 Liebe Worte
Du sprichst mir voll aus dem Herzen. Meine Vision ist eine intakte Umwelt, die auch für meine Enkelkinder bestehen bleibt. Nur, meine Befürchtung ist, dass uns dafür der Gen-Food schmackhaft gemacht wird.
AntwortenLöschenSo wie uns jetzt die Impfung für Kinder portiert wird ...
Immer Big Pharma.
Ich bin sehr unsicher bei der Abstimmung.
Liebe Grüsse zu dir
Regula
Liebe Regula
LöschenIch bin gespannt wie es mit der Ökologie weiter geht. Man sieht kaum noch Bienen und Insekten. Neulich habe ich beim Wandern in einem Waldstück nicht mal Vogelgezwitscher gehört. Das stimmt mich sehr nachdenklich. Aber wie heisst es schön: Erst wenn der letzte Flecken Erde vergiftet ist, werden die Menschen merken, dass man Geld nicht essen kann. 😢
Liebe Paula, obwohl (oder gerade weil) sowohl Herr Mo als auch ich Bauernkinder sind und er ja auch heute noch mit Leib und Seele Bio-Bauer ist, so ist es für uns ganz klar, wie wir abstimmen. Es fliesst sehr, sehr viel Geld der Agrarlobby in diesen Abstimmungskampf und auch die Angst trägt Früchte.
AntwortenLöschenGestern war ich an einer Wildkräutertavolata. Da wurde mir wieder einmal bewusst, wie viel Gutes uns die Natur zur Verfügung stellt. Und lustig; Auch dort war das Thema, dass viele Wildkräuter eher bitter oder herb schmecken und wir uns zuerst wieder ein wenig an diese Geschmäcker gewöhnen müssen.
Danke dir für diesen spannenden Beitrag!
Liebe Grüsse, Monika
Danke Monika, ihr inspiriert mich immer wieder. Und dank Herr Mo‘s Instabeiträgen sehe ich immer wieder, dass es auch anders gehen würde. Aber du schreibst es richtig, die Angst und die Pharmalobby sind ziemlich (über)mächtig. Ich verstehe allerdings nicht, warum die Gesundheit im Bewusstsein nicht an erster Stelle steht :-(
LöschenLiebe Paula,
AntwortenLöschenund wieder mal hat das Volk deutlich gemacht, worauf es ihm ankommt: keinen Franken mehr als nötig für die Umwelt auszugeben, sich nicht ein wenig bescheiden zu wollen, immer nur das höchstpersönliche Wohlergehen vor Augen. Ich hätte nicht gedacht, dass gleich alle 3 Umwelt-Vorlagen "de Bach ab gahnd". Ich bin wirklich enttäuscht und frustriert. Und ich frage mich: was muss eigenltich passieren, damit den Menschen klar wird, dass wir nur noch ein paar Sekunden vor 12 Uhr stehen?? Dass so gut wie keine Zeit mehr bleibt, um etwas zu ändern? Aber es wäre so einfach, wenn alle mitziehen würden- die positiven Veränderungen in der Natur während der Lockdowns haben es deutlich gemacht- und mich staunen lassen.
Tja, und jetzt? Ich werde unermüdlich weiter daran arbeiten, zumindest meinen eigenen ökol. Fussabdruck immer noch kleiner zu machen. Und dabei versuchen, den einen oder andern "mitzunehmen". Aufgeben ist keine Option!
Ganz liebi Griessli, us em andere Teil vo Obwaldä, 😉
AndreaFrauHummel
Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.