Kurz.ge.schich.te N°11 {verbergen}

by - Februar 18, 2019


VERBERGEN, das heutige Stichwort zu meinen Kurzgeschichten. Verbergen kann man ja so einiges. Gefühle, Chaos in den Schränken, Liebhaber, Schulden, Lottogewinne und ????
Lest selbst :-) Viel Spass!



Cacher la misère
Sie hatte es schon länger geahnt. Es war so ein Gefühl, immer dann, wenn sie die Skihosen oder eine frisch gewaschene Jeans anzog. Sie sassen enger als sonst. Vielleicht täuschte sie sich auch, es war schliesslich bekannt, dass Jeans beim Waschen einlaufen. Aber bei der Skihose bestand kein Zweifel, sie fühlte sich darin wie eine Pellwurst.
Am Neujahrstag überkam sie der Impuls, auf die Waage zu stehen. Das tat sie nur selten. Aber aus irgendeinem Gefühl heraus, wollte sie ihr Anfangsgewicht des neuen Jahres wiegen. Sie schaute neugierig auf den Zeiger, der bedrohlich hin und her schwankte. Als er endlich still stand, betrachtete sie ungläubig die markierte Zahl. Sie trat zurück auf den Fliessenboden, um sich zu vergewissern, ob die Waage richtig eingestellt war. Sie stieg erneut auf die Messplatte, in der Hoffnung, es werde sich allenfalls, eventuell, man konnte ja nie wissen, etwas an der Anzeige ändern. Doch der Zeiger schnellte wieder zur gleichen Zahl, vier Striche weiter als letztes Jahr. Sie hatte gehofft, es würden nur ein oder zwei mehr sein. Aber es waren, daran bestand kein Zweifel, vier Kilos. Sie dachte an all die Tafeln Schokolode, die sie ohne Reue gefuttert hatte, wann immer ihr danach gewesen war. An den Geschmack von Kakao, Honig, Malz und Mandeln. Scheisse. Sie stieg von der Waage und schob die weisse Verrätererin aus Blech unter ihren Badezimmerschrank.
Die zusätzlichen Kilos begleiteten sie fortan nicht nur auf der Hüfte, sondern auch in Gedanken. Sie betrachtete verstohlen ihren Hintern im Glas des Backofens und in den Spiegelungen von Schaufenstern. Die Pfunde verfolgten sie wie eine "rammlige" Katze und machten selbst vor dem Ehebett nicht halt. Sie fühlte sich unwohl und unsexy. Wenn Linus, ihr Mann, sich abends an sie kuscheln wollte, drehte sie sich reflexartig auf den Rücken. Der Bauch schien in dieser Position eindeutig flacher, denn auch hier hatten sich ein paar Speckröllchen breit gemacht. Drehte sie sich zur Seite, kam die ganze Pracht, des unkontrollierten Süssigkeiten Konsums schamlos zum Vorschein. Ein Wunder, dass Linus bisher nichts bemerkt hatte. 
Eines abends, sie hatte sich bewusst zurück gehalten beim Essen, fragte er, ob sie noch eine Scheibe Brot möchte. Da rutschte ihr das Geheimnis um die zusätzlichen Kilos unverblümt von der Zunge. "Nein danke. Ich habe letztes Jahr vier Kilos zugelegt." Linus taxierte sie überrascht von der Seite. Der letzte Bissen seines Brotes schien ihm fast im Hals stecken zu bleiben. "Vier Kilos?", fragte er ungläubig. "Das ist ziemlich viel.", entgegnete er nachdenklich. Er analysierte die Zahl vor seinem inneren Augen. Dann schaute er sie erneut an und fragte: "Wo hast du die denn versteckt? In den Brüsten scheinen sie ja nicht zu sein." Ein freches Grinsen umspielte seine Lippen. Sie lächelte ihn lahm an. Er beugte sich vor, drückte ihr einen krümeligen Kuss auf die Nase und meinte ermunternd: "Aber weisst du was? Du siehst immer noch hammermässig aus."
Sie schenkte ihm ein dankbares Lachen. Genau darum liebte sie ihn. Selbst wenn sie sich fühlte wie eine überfüllte Mülltonne, schaffte er es, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. 

* * * * *

Kommt euch die Geschichte bekannt vor? Ich glaube, es gibt keine Frau, die diese Situation nicht irgendwann im Leben selbst erfährt. Egal ob es nun vier Kilos und mehr sind. Ich arbeite in einer Kleiderboutique und könnte darüber ein Buch schreiben, wie viele Frauen sich mit dem leidigen Thema herum plagen. Da zu viel, hier zu wenig, dort zu viel. Meistens eher Damen, bei denen ich nirgends etwas zu viel sehe. Aber ich kann ihnen gut nachfühlen. Es ist so ein Gefühl, ein ungutes. Und da helfen manchmal nicht mal aufmunternde Worte. Aber ehrlich gesagt, finde ich trotz allem, dass es nichts Wichtigeres gibt, als dass man gesund ist. Denn spätestens wenn uns etwas Schlimmes widerfährt, würden wir all die Kilos sofort gegen Gesundheit oder eine bessere Situation tauschen. Oder nicht? Meine Tanten meinen bei zu vielen Kilos immer schmunzelnd: "Cacher la misère". :-)

Ich wünsche euch eine schöne Woche.

Liebe Grüsse Paula


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7 Liebe Worte

  1. Herrlich! Bei mir sind es leider schon einige Jahre mit je vier Kilos... aber ich habe herzhaft gelacht! Wie recht du hast!
    Bei mir gibt es heute nur ein kleines Gedicht.
    ♥ Monika

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    1. Ja wenns bei mir so weitergeht, werden es auch 4 pro Jahr :-)

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  2. Sehr schön geschrieben, mit dieser Geschichte sprichst Du sicherlich viele Frauen an. herzlich Margot

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    1. Das glaube ich auch. Danke für dein Feedback :-)

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  3. Liebe Paula,
    deine Kurzgeschichte war wieder sehr unterhaltsam und so ein wenig Winterspeck hab ich auch angesetzt :)
    Bin aber auch eine Naschkatze...
    Einen angenehmen Abend wünscht dir
    Kristin

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  4. Liebe Paula,
    eine schöne Geschichte! Hat mich sehr amüsiert. Ich kann mir vorstellen, dass es vielen so geht - habe mich auch zum Jahresanfang auf die olle Waage gestellt und direkt danach neue Vorsätze gefasst. Allerdings bisher ohne Erfolg weil es ist, wie es in der Geschichte steht ...gibt wichtigeres:)
    Viele liebe Grüße, Anke

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Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.