Kurz.ge.schich.te No°29 {Ausflug}

by - Juli 09, 2019


Vielleicht habt ihr euch schon gewundert, wo meine Kurzgeschichten bleiben? Sie wurden wegen Ferien, Feiertagen und einer Reise verschoben. Aber ich hole sie nach. Stichwort für Stichwort, versprochen. Heute gibt es die erste im Monat Juli zum Thema Ausflug zu lesen. 



Gesichter lesen
Wir sitzen alle gemeinsam in einem Postauto von der Stöckalp nach Sarnen, mein Mann, die Kinder und ich. Müde von einer langen Wanderung strecken wir die Beine aus, mein Mann döst vor sich hin. Unsere Tochter hat es sich auf seinem Schoss bequem gemacht. Der Bus ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Während der Fahrt sehe ich mich neugierig um und entdecke ein Schild, welches daraufhin weist, dass die Plätze, auf denen wir sitzen, für gehbehinderte Menschen reserviert ist.
Im Melchtal betritt ein älterer rundlicher Mann mit Rucksack und Gehstock den Bus. Ich frage freundlich, ob er gerne meinen Platz haben möchte. "Ja, der Platz ist für mich reserviert", gibt er spitz zur Antwort und deutet auf die Schilder, die ich kurz vorher entdeckt habe. Mein Sohn und ich machen den Platz frei und ergattern zwei andere freie Sessel. Der Herr deponiert seinen Rucksack auf einem der freigewordenen Sitzflächen und quetscht sich in den gegenüberliegenden Stuhl, direkt neben meinen Mann. Ob mein Mann schläft, oder nur so tut und sich aus Protest über den unfreundlichen Herrn mit Absicht etwas breiter macht, kann ich nicht ausmachen. Aber die Reise mit dem Postauto wird zunehmend spannender. Als bei der nächsten Haltestelle eine ältere Dame zusteigt, macht der unfreundliche Mann keine Anstalten, seinen Rucksack vom Stuhl zu nehmen und der Frau eine Sitzmöglichkeit anzubieten. Selbstgefällig, so als gehöre der Bus ihm, sitzt er stolz auf seinem Stuhl, die Arme vor der Brust verschränktt. Er blickt grimmig und stur gerade aus. Ich spüre, wie Ärger meine Kehle hochkriecht und schimpfe ihn in Gedanken aus. Da die ältere Dame aber bereits anderswo Platz genommen hat, verkneife ich mir eine Bemerkung. Beim Beobachten dieser Frau, ist mein Ärger schnell verflogen. Ihr Haar schimmert silbergrau, ihre Augen, von einer grossen schwarzen Sonnenbrille verdeckt, verteilen ihre Strahlen über das ganze Gesicht.  Ich kann das Leuchten darin nur erahnen, aber ihre Haltung und das Lächeln, welches sanft ihrer Lippen umspielt, lassen darauf schliessen, dass Sie einen wunderschönen Tag erlebt hat. Ganz im Gegensatz zu dem übellaunigen Herrn. An der Haltestelle steht eine weitere Frau mit grauen Haaren, deren Gesicht ebenfalls von einem freudigen Strahlen erhellt ist. Sie winkt zum Abschied mit einem Taschentuch, als sich die Tür unvermittelt schliesst und der Bus weiterfährt. Die Dame in unserem Bus winkt freudig zurück. Dann platziert sie ihre Handtasche auf ihren Beinen, legt ihre faltigen Hände darüber und lächelt zufrieden vor sich hin. Zu gerne möchte ich wissen, warum dieser sonntägliche Ausflug sie so glücklich gemacht hat. Den älteren Herrn habe ich derweil fast vergessen.


* * * * *

Ich liebe es andere Menschen zu beobachten. Ihre Gesichter erzählen so viele Geschichten, die wir bei genauem Beobachten erahnen, aber nie mit Gewissheit ergründen können. Und Du, beobachtest du auch heimlich Szenen und Menschen im Alltag oder auf Reisen?

Liebe Grüsse Paula

P.S. Ich stelle die Linkparty wieder einmal dazu. Vielleicht mag jemand mitschreiben. Vielleicht Frau Mo? Ihre Geschichten werden nämlich kläglich vermisst, wie mir zwei stille Leserinnen anvertraut haben. ;-)

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1 Liebe Worte

  1. Ups, was lese ich denn da, liebe Paula! Ich war in letzter Zeit ziemlich blogabstinent und hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass mich jemand vermisst ;-)
    Ab und zu überlege ich, ob ich den Blog schliessen oder wiederbeleben soll und dann verschiebe ich den Entscheid wieder.
    Eigentlich wird es mir auch ohne Blog nicht langweilig. Eigentlich mache ich mir nun keinen Druck mehr, regelmässig was bloggen zu müssen. Eigentlich mache ich fast keine Fotos mehr. Die sammeln sich ja nur noch auf dem PC an, wenn ich sie nicht verblogge. Eigentlich fallen mir zu deinen Schreibthemen manchmal wieder Geschichten ein (zum Beispiel der grantige Herr, gestern an der Kasse in der Mi*ros, der mich an deinen Herrn im Bus erinnert hat). Eigentlich hätte ich ja jetzt einen Grund, das eine und andere für meine Enkel aufzuschreiben ;-)
    Eigentlich weiss ich immer noch nicht, wie es mit dem Bloggen bei mir weitergehen soll...
    Herzlich, Monika

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Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.