Kurz.ge.schich.te No°36 {Wo kämen wir hin}

by - April 26, 2020

Liebe BlogleserInnen
Die letzten beiden Wochen liess ich es ruhig angehen. Die Kinder hatten Schulferien. Ich genoss das schöne Wetter, die Natur und die Hängematte auf dem Balkon. Ich habe viel gelesen und mir unzählige Notizen zur aktuellen Zeit gemacht. Es gäbe wohl ein Buch daraus. Eine Geschichte, entstanden aus Corona-Begegnungen, will ich euch heute erzählen. 



Wo kämen wir hin

Der Himmel ist wolkenverhangen. Nicht mehr ganz so blau wie die vergangenen Wochen, aber es verspricht ein schöner Tag zu werden. Ich hole mein Fahrrad aus der Garage, mein "Chörblivelo", wie ich es nenne. Es ist hellblau und erinnert mich bei jedem Anblick an meine Ferien in Italien. Eigentlich hatte ich immer von einem Cinquecento geträumt, einem kleinen Fiat. Aber das Familienbudget sah kein zweites Auto vor. Nicht weiter schlimm, ich bin seit letztem Sommer stolze Besitzerin eines italienischen Retrovelos mit zwei geflochtenen Einkaufskörben.  Ich liebe es mit dem Fahrrad ins Dorf zu radeln, mir den Fahrtwind um die Ohren wehen zu lasen und die Umgebung zu geniessen. Die Einkäufe am Samstagmorgen mag ich ganz besonders. Dann besuche ich jeweils die Käserei im Kloster, um mich mit frischem Biogemüse einzudecken. Und ich freue mich über all die bekannten Gesichter, die ich dort antreffe. Dass man seit Wochen Abstand halten und Desinfektionsmittel benutzen soll, kommt mir zwar immer noch komisch vor. Aber die Freuden der Begegnungen trösten darüber hinweg. Ich meine sogar zu spüren, dass diese Einkäufe auch für die anderen Menschen ein Höhepunkt in Zeiten Corona sind. Manchmal wird vor dem Laden auf Abstand noch ein Schwatz gehalten. Die Morgensonne blinzelt hinter den Bergen hervor, die Mauern des Klosters vermitteln einen Hauch von heiler Welt. Fehlte nur noch eine wohlduftende Tasse Kaffee. Diesen gibt es in der Käserei als Takeaway in einem Pappbecher. Da der Restaurantteil geschlossen ist, dürfen sie den Kaffee nicht in Geschirr ausschenken. Ich verstehe es nicht. Warum darf man einen Kaffee im Pappbecher kaufen, vor oder im Geschäft trinken, nicht aber aus einer Keramiktasse? Ich will nicht zu lange darüber nachdenken. Bei der Vorstellung wie viel Abfall durch all die Take-aways entstehen, wird mir flau im Magen. Dennoch ist es für viele Restaurants die einzige Einnahmequelle im Moment. Ich denke dabei auch an all die Hygienemasken, die nun haufenweise im Abfall landen. Aber Klima- und Umweltschutz sind aktuell nicht gefragt. Empathie und gegenseitiges Miteinander sind die neuen Schlagwörter. 

Allerdings essen nicht alle Mitbürger mit dem Suppenlöffel von diesen Eigenschaften. Bei einigen ist es wohl kaum mehr als ein Espressolöffel . Bei andern scheint die Fürsorge gegenüber ihren Mitmenschen ganz auf der Strecke zu bleiben. Obschon die meisten Mitmenschen in meinem Dorf sehr aufgestellt sind in dieser besonderen Zeit, gibt es ein paar vereinzelte, die sich grundlos den Bauch voll jammern. Manche finden neben akribisch geplanten Wandertouren, Menüplänen und Fenster putzen, kaum Zeit, sich um die betagten Eltern zu kümmern. "Ja weisst du, im Moment kaufen wir auch für unsere Mütter ein. Und wenn meine Schwiegermutter meint, sie müsste kurzfristig noch einen Einkaufswunsch äussern, dann soll das bitte mein Mann erledigen. Ich habe nicht die Zeit an vier verschiedenen Orten einzukaufen, schliesslich kaufe ich im Moment für vier Personen ein. Ich plane immer alles im voraus, da liegen solche Extrawünsche einfach nicht drin. Wo kämen wir da hin?" Ich schaute die Bekannte mitfühlend an, als die Worte gestresst über ihre Lippen brausten und brachte keine Antwort zustande.
Ja wo kämen wir hin, wenn wir auf einmal Mitgefühl und Empathie empfinden müssten?
Ja wo kämen wir hin?
Als ich nach den Besorgungen im Dorf mit dem Rad nach Hause fuhr, ohne mir bewusst zu sein, dass ich an diesem Morgen an fünf verschiedenen Orten eingekauft, Dinge erledigt und für vier Personen eingekauft hatte, fragte ich mich, wer für dieses kinderlose und selbstsüchtige Ehepaar wohl einkaufen wird, wenn sie selbst im Alter ihrer Väter sein werden.

* * * * *

So haben alle ihre Sorgen. Die einen sind etwas grösser, die andern etwas kleiner. Die einen Menschen sind nebenbei trotz allem glücklich und zufrieden, die andern werden nach Corona neue Sorgen finden. In diesem Sinne wünsche ich euch einen sorgenfreien Sonntag.

Liebe Grüsse Paula

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7 Liebe Worte

  1. Ach, liebe Paula, ich glaube, im Moment ist es für das seelische Gleichgewicht besser, nicht alles verstehen zu wollen. Die ganzen An- und Verordnungen sind vermutlich nicht von den Leuten erstellt worden, die sie nun umsetzen sollten. Herr Mo hat am Bahnhof schon die ersten Masken rumliegen sehen.
    Und die überforderte Dame, die tut mir ziemlich leid. Ich finde es immer wieder traurig zu sehen, wie einige Menschen einfach nicht aus ihrer Haut herauskommen und in ihrem inneren Elend gefangen bleiben. Ist es nicht schön, mit dem Velo ins Dorf fahren, in fünf Geschäften für vier oder mehr Personen einkaufen zu können? Und dann erst noch die Möglichkeit zu haben einen Schwatz bei Sonnenschein und mit einem Kaffee zu geniessen?
    Herzlich, Monika

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    1. Das find ich eben auch. Für mich ist der Gang ins Dorf und die Begegnungen immer ein Hightlight in dieser Zeit.

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    2. Liebe Paula,

      Ich kann dich gut verstehen und nachvollziehen, dass das Einkaufen ein Hightlight sein kann. Auch ich bin sehr foh und dankbar, dass wir noch nach Draussen gehen und manchmal auf Abstand einen Schwatz halten können. Aber einkaufen zu gehen, breitet mir mühe, weil bei uns so eine gruslige/ bedrückende Stimmung herrscht. Vielleicht kommt es auch sehr auf die Region an, in der man wohnt. Dem Verhalten deiner Bekannten würde ich keine grosse Beachtung schenken.
      Bleib gesund !
      Liebe Grüsse
      Christina

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    3. Liebe Christina
      Ja vielleicht liegt es an der Region, oder daran, dass wir Bergler sind und uns nicht alles zu Herzen nehmen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir 2005 mit dem Hochwasser schon einmal eine ähnliche, wenn nicht schlimmere Krise erlebt haben. Und sicher liegt es daran, dass wir ein Dorf sind.
      Ich wünsche dir von Herzen, dass bald wieder normalere Zeiten kommen.

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  2. Hallo Paula,

    Schön, dass du so schnell zurückgeschrieben hast ��.
    Ja es kann durchaus sein, dass ihr Engelbergler entspannter mit der Situation umgehen könnt. War schon oft bei euch in den Ferien und war danach immer tiefenentspannt ��.
    Abgesehen, dass ich nicht mehr gerne einkaufen gehe, geht es mir und meiner Familie, zum Glück, sehr gut. Ich sehe uns als priviligiert, da wir alle gesund sind,in einem Haus mit Garten wohnen und in kurzer Zeit zu Fuss im Grünen sind.
    Und obwohl es uns auch in dieser Krise gut geht, wünsche ich uns allen ganz fest, dass bald wieder Normalität einkehren kann....
    Alles Liebe
    Christina

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    1. Liebe Christina, das wünsche ich mir auch, wohl die meisten, dass wieder Normalität einkehrt. Allerdings müssen wir uns vermutlich noch eine Weile gedulden. Abstandhalten wird uns vermutlich noch länger begleiten. :-(
      Alles Liebe Paula

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  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.