3:3 WORT-SALAT NO 4 {Der Dreizehnte}
Willkommen beim 3:3 WORT-SALAT im März, dem gemeinsamen Schreibprojekt von mir und Frau Mo Chrüselichopf. Wir haben wieder je drei Schreib-Stichworte aus unseren Gläsern gezogen.
Heute ist der 13. März. Ein Denkwürdiges Datum für mich und meine Familie. Lest doch selbst, was ich darüber und zu den Stichworten Eine Weltreise, gemeinsam, am Wegesrand, Unruhe, Grenzen und Online für den 3:3 Wort-Salat geschrieben habe.
Der Dreizehnte
Manche Daten prägen sich wie ein Brandmahl in unsere Erinnerungen. Der 12. und 13. März zum Beispiel. Vier Jahre ist es jetzt her, seit ich den schicksalhaften Anruf bekam, dass du im Spital liegst und operiert wirst. Ich erinnere mich an die Zeit des Wartens, die innerliche Unruhe und die Angst. Ein paar Stunden später der nächste Anruf, mit der Nachricht, dass du sterben wirst.
Gemeinsam mit meinem Geschwistern bin ich nach Luzern zum Spital gefahren. Es hat in Strömen geregnet. Mein Bruder nahm vor Anspannung eine falsche Auffahrt im Parkhaus. Aber das interessierte niemanden. Das Parkhaus war um diese Zeit, Mitten in der Nacht, leer. Vor der Tür zur Intensivstation mussten wir warten. Es kam mir ewig lange vor. Dann endlich kam eine Ärztin und führte uns in dein Zimmer. Der Raum war dämmrig. Apparate blinkten. Du sahst ruhig und friedlich aus. Nichts deutete daraufhin, dass hier der Tod wartet.
Die Ärztin führte uns in einen Besprechungsraum. Er war erfüllt mit grellem Licht. Sie erklärte was passiert war und dass Du nur noch ein paar Stunden zu leben hast. Ob man es hätte verhindern können, fragte ich. Nein, antwortete die Ärztin mitfühlend. Ob wir bleiben wollen oder wieder nach Hause fahren wollen, fragte die Ärztin. Die Frage schien mir grotesk und ich fragte mich, ob es tatsächlich Menschen gab, die für einen letzten Besuch ins Spital fuhren und dann wieder nach Hause gingen, im Wissen, dass die eigene Mutter im Sterben liegt. Ich wollte so schnell als möglich wieder zu Dir ins Zimmer. Alles schien so surreal.
Uns so begann das lange Warten. Das Warten auf den Tod. Ich versuchte mir alles an dir einzuprägen. Dein Gesicht. Deine Nase, deine braunen Haare, dein schmaler Mund. Das Gefühl deiner Haut.
Unser Leben zog wie eine Weltreise durch meine Gedanken. Meine Kindheit, meine Jugend, deine Grosskinder, unsere gemeinsame Reise nach Wien. Und Weihnachten. Und Geburtstage ...
Anfangs war das Warten unerträglich. Irgendwann sickerte die Gewissheit, dass es die letzten Stunden mit dir sind, in jede Faser meines Körpers. Und irgendwann war ich vom Warten auf den Tod und von der Ausweglosigkeit so ermüdet, dass ich dir in Gedanken erlaubte zu gehen. Ich habe dir Frieden gewünscht. Und die wohlverdiente Ruhe nach einem schicksalhaften Leben. Kurz bevor du für immer eingeschlafen bist, zog ein Fuchs ums Spital.
Die darauffolgenden Tage und Wochen brachten mich immer wieder an meine Grenzen. Termine, Entscheidungen und das Begräbnis mussten organisiert werden. Telefonate mit Angehörigen. Gespräche mit Behörden und der Bestatterin. Ein Spiessrutenlauf zwischen Müdigkeit und grenzenloser Trauer. Aber obwohl wir mit dir nie über den Tod gesprochen hatten, wussten wir, was dir gefallen hätte. Eine einfache Urne aus Holz. Und Rosen. Aber keine gewöhnlichen. Sie mussten einen Kontrastrand haben. Beim Anblick einer Kugelförmigen Urne aus Granit meinte mein Bruder, du hättest mit Sicherheit gesagt, wir könnten dich ja noch eine Weile "herumtrölen" (herumrollen). Wir mussten beide lachen. Die Bestatterin hatte den Witz wohl nicht verstanden, aber für uns hat es sich angefühlt, als seist du bei uns.
Dann habe ich stundenlang nach Liedern für die Beerdigung gesucht. Und gefunden. {S'Härz vun re Mueter} und {S'Land ob dä Wolkä} Und noch heute, vier Jahre später, muss ich weinen, wenn ich diese beiden Lieder höre. Gestern kam {s'Land ob de Wolkä} zufällig im Radio. Zufällig, am Datum der schlechten Nachricht? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich drehte das Radio auf und liess meinen Gefühlen und Tränen freien Lauf. So wie ich es auch die Monate nach deinem Tod immer wieder gemacht habe, wenn ich alleine war. Wenn mir die Schwere jedoch zu arg auf dem Herzen lag, unternahm ich einen Spaziergang im Wald. Am Wegesrand gab es immer etwas zu entdecken, was die Trauer leichter machte. Blumen, Kräuter, Beeren oder Vogelgezwitscher. Und auf wundersame Weise kam ich durch Links und Klicks im www auf Barbara Pachl-Eberhart. Ich habe ihr Buch 4 minus 3 gelesen und einen ihrer Online-Schreibkurse abonniert. Ihre täglichen Schreibimpulse haben mich vier Monate lang begleitet und mich immer wieder aus dem Sumpf gehoben.
Wenn ich zurück denke, kommt es mir vor, als seist du erst gestern fort gegangen. Dabei liegen Meilensteine und Achterbahnen hinter uns. Zwei Erstkommunionsfeiern ohne dich. Vier mal Weihnachten ohne dich. Unzählige Geburtstage ohne dich. Und eine Pandemie. Mehr als einmal habe ich mich die letzten zwei Jahre gefragt, wie du mit der Situation umgegangen wärst. Ob du ängstlich gewesen wärst. Panisch oder zuversichtlich. Und auch wenn ich unendlich traurig bin, dass du nicht mehr da bist, bin ich unsagbar froh, dass dein Abschied nicht in die Zeit der Pandemie gefallen ist. Bei deiner Trauerfeier waren mindestens 400 Personen anwesend. Wie hätten wir mit all den vielen Verwandten, Freunden und Bekannten Abschied nehmen sollen, wenn nur 30 erlaubt gewesen wären?
Und wie hättest du auf den Ausbruch des Krieges in der Ukranie reagiert? Ich glaube es hätte dich verängstigt. Mich erschüttert die Situation. Und sie ist jeden Tag in meinen Gedanken. Manchmal auch im Schlaf.
Aber heute, am 13. März 2022 will ich daran denken, wie du uns allen mit Sicherheit eine SMS geschrieben hättest, weil deine Nichte zur Regierungsrätin gewählt worden ist. Und auch im Februar hättest du uns eine SMS geschrieben, als Michelle Gisin an den Olympischen Winterspielen Bronze und Gold gewonnen hat.
Du bist immer in meinen Gedanken, auch wenn sich die Welt ohne dich einfach weiterdreht. Manchmal muss ich schmunzeln, manchmal muss ich weinen, manchmal koche ich Dinge die du mochtest. Und manchmal bin ich wütend auf dieses Leben, dass uns so viele Herausforderungen beschert. Aber eigentlich liebe ich das Leben. Meistens. Fast immer. Und ich hebe alles Schöne auf wie kostbare Perlen. Blumen, Wildkräuter, Tierspuren, Pulverschnee, das Glitzern eines Sees, leuchtrote Berggipfel, Nebelmeer, Kinderlachen, feines Essen, Begegnungen mit Freunden, liebe Nachrichten oder feines Essen. Und irgendwann werden wir uns im Himmel wieder sehen. Oder auch nicht. Wer weiss das schon. Aber die Vorstellung hilft das Weltchaos auszuhalten. Und bis dahin stelle ich mir vor, wie du weiter auf einer Wolke sitzt und die Beine baumeln lässt und deine wohlverdiente Ruhe geniesst.
Alles Liebe zum Himmel ....
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2 Liebe Worte
Liebe Paula, vier Jahre sind es her? Mir kommt es viel länger vor und auch viel weniger lang. Ist schon ein seltsames Gefüge, diese Zeit. Und wir Menschen wissen alle nicht, wieviel davon wir auf dieser Erde haben werden. Ich gehöre ja zu denen, die nicht an ein Wiedersehen im Himmel oder wo auch immer glauben. Aber ich glaube daran, dass die Spuren des Lebens, der Liebe, des Hasses, Generationen überdauern. In den Nachkommen,in den Erinnerungen, in den gelebten Gefühlen... Deshalb finde ich es ungemein tröstlich zu lesen, wie deine Mutter in deinen Erinnerungen und deinem Leben weiterlebt, umätroolet ;-)
AntwortenLöschenDanke dir für diesen schönen Text!
Liebe Paula,
AntwortenLöschenes ist tröstlich, dass die Verstorbenen in unseren Gedanken sind. Jahr für Jahr, für immer. Mein Vater hat einmal gesagt, dass er an seiner Beerdiugung einen Apero auf dem Friedhof haben möchte. Er sei dann auch dabei, um Papierdicke daneben.
Beide meine Eltern sind noch da auf dieser Erde, und ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein wird ohne sie. Wenn es so weit ist, gönne ich ihnen nach einem langen Leben ihre Ruhe, die sie um Papierdicke neben mir geniessen.
Alles Gute dir!
Regula
Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.