Kurz.ge.schich.te N°13 {Werkhof}

by - März 04, 2019


Liebe BlogleserInnen
Ich hoffe ihr seid gut in den März gestartet. Hier geht es in einen weiteren Monat mit meinen Kurzgeschichten, treu begleitet von Frau Mo. Herzlichen Dank und weiterhin viel Spass beim Lesen.



Der Glücksbringer
Alfred hatte Feierabend. Er sass am Tresen seiner Lieblingskneippe und gönnte sich ein Bier, als sich ein ihm unbekannter Mann auf den benachbarten Stuhl setzte und sich ebenfalls ein Bier bestellte. Der Mann trug einen tadellosen Dunkelblauen Anzug mit Krawatte, dazu ein weisses Hemd. Alfred wirkte in seinen orangefarbenen Überhosen und dem abgewetzten Flanellhemd leicht schäbig daneben. Aber es störte ihn nicht. Der Fremde schlug eine Zeitung auf und legte sie bedeutungsvoll auf das abgegriffene Holz des Bartresens. Er schien interessiert die Börsendaten zu studieren. Alfred betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Wichtigtuer dachte er, widmete sich wieder seinem Bier und liess die leicht bittere Flüssigkeit seine Kehle hinunter laufen. Er sinnierte über seinen Arbeitstag. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. Der Anzugträger faltete seine Zeitung wieder zusammen, betrachtete Alfred von der Seite und meinte: "Du scheinst einen guten Tag hinter dir zu haben, wenn ich dein Gesicht so betrachte?" "Alles eine Frage der Einstellung.", antwortete Alfred freundlich. "Wohl eher eine Frage des Jobs. Bei mir war wieder die Hölle los. Die Börse spielt verrückt, meine Aktien sind im Keller. Wenn das so weitergeht, verliere ich eine Menge Geld. Da vergeht dir das Lachen, das kannst du mir glauben.", entgegnete der Unbekannte in ernstem Tonfall. Alfred schaute seinen Nachbarn an, unterliess es aber, darauf zu antworten. "Was arbeitest du denn", wollte der Mann in Anzug wissen. Alfred liess sich mit der Antwort einen Moment Zeit und meinte dann amüsiert: "Ich arbeite als Glücksbringer.", ohne genauer zu definieren, was er damit meinte. "Glücksbringer? So so. Und was für Glück bringst du denn? Wie ein Kaminfeger siehst du nicht aus.", stellte der Fremde neugierig fest.
"Ich helfe den Menschen ihr Gewissen zu beruhigen. Ich unterstütze sie im Loslassen." Alfred grinste. Er wusste, dass er in Rätseln sprach und genoss das theatralische Gefühl. Der Anzugträger wollte sich keine Blösse geben und dachte krampfhaft nach, was der Mann in Arbeitskleidung wohl damit meinte. Aber er wusste es nicht. "Bist du als Yogi in der Baubranche tätig?". Es sollte als Witz gemeint sein, aber Alfred ging nicht darauf ein. Stattdessen gab er trocken zur Antwort: "Nein, ich arbeite im Werkhof. In der Entsorgungshalle." "Und dort bringst du Glück?" fragte der Börsenmakler leicht überheblich. "Gewiss.", sagte Alfred knapp. Er kannte die Sorte Menschen, die spöttisch auf seinen Berufsstand blickten. Für sie war er nicht mehr wert, als der Abfall, den sie bei ihm entsorgten. Aber der Anzugträger wollte mehr darüber erfahren. "Und wie bringst du dort Glück?"
"Ich unterstütze die Menschen, ihre Wohlstands Türme los zu werden. Sie kommen mit gequälten Gesichtern, bringen Dinge, die zu viel, zu gross, zu alt, zu schäbig und zu mühsam geworden sind. Ich helfe ihnen beim Ausladen und Sortieren ihrer überdrüssigen Dinge. Mit jedem Gang werden ihre Gesichtszüge entspannter. Die Leute sehen es als gute Tat, mir altes Brot für die Tiere der Bauern zu bringen, aus der Mode gekommene Kleidung in die Sammlung zu werfen und ihre Zalando Schachteln in die Kartonpresse zu stecken. Der eine bringt den einjährigen Computer, weil er zu langsam ist, eine andere die Kaffeemaschine, die nicht mehr zum Design der Küche passt. Das hält die Recyclingquote hoch, schliesslich sind wir Schweizer Weltmeister im recyceln. Die  Abfallberge und die Erdverschmutzung lässt man dabei ausser Acht. Die Menschen kommen beladen und gehen erleichtert. Ich sehe ihre glücklichen Gesichter, wenn sie die Entsorgungsstrasse mit einem Lächeln verlassen, auf dem Weg, ihre Löhne in neue und schönere Dinge zu investieren, welche in ein paar Wochen oder Monaten wieder bei mir landen. Und wenn es gut läuft, mache ich im entferntesten Sinne sogar dich glücklich." Der fremde Mann war irritiert. "Wie meinst du das?". "Na ich denke, wenn viel entsorgt wird, wird auch viel gekauft? Das wirkt sich auf die Börse aus und letztlich auch auf deine Aktien." Der Aktienmensch schaute Alfred betreten an und rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Alfred sah ihm an, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Vielleicht dachte der Fremde gerade an seinen neuen Fernseher, den neuen Hochdruckreiniger in der Garage, den neuen PC, das neue Bett oder die neuen Skier. Vielleicht gehörte er sogar zu der Sorte Menschen, die ihren Abfall,  versteckt in einem Papiersack, unter dem Altpapier entsorgen, um nichts dafür zu bezahlen. A-Klasse Autotypen gehörten genauso dazu, wie Hausfrauen in Turnschuhen. Der Unbekannte hatte es plötzlich eilig aufzubrechen. Ihm war unvermittelt eingefallen, dass seine Frau noch einen Termin hat. "Das tönt ja spannend. Ich muss aber leider los." meinte er gequält freundlich und verabschiedete sich rasch.

* * * * *
Diese Geschichte war eine harte Nuss für mich. Ich dachte im Dezember bei der Auswahl der Stichworte, dass mir zu "Werkhof" leicht etwas einfallen wird. Es sollte etwas wie ein Spiegel unserer Gesellschaft daraus werden. Aber es war eine wahre Herausforderung. Eine lange Listen an Stichworten und alten Zeitungsberichten haben mir schliesslich auf die Sprünge geholfen. Ich hoffe die Geschichte gefällt euch und regt euch zum Nachdenken an. ;-) Habt eine schöne Woche.

Liebe Grüsse Paula


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4 Liebe Worte

  1. Da hast du aber viele Nägel auf den Kopf getroffen! Die Geschichte steht sinnbildlich für so viele Themen. Dem Konsum sind wir wohl alle erlegen, aber wenn man zweimal überlegt, dann lassen sich Fehlkäufe vermeiden. Ich setze gerne auf klassische Desings, die mir lange gefallen. Und Glück kann man zum Glück nicht kaufen!
    Heitere Grüsse und gute Besserung,
    Britta

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    1. Liebe Britta, so halte ich es auch. Ich kaufe Dinge neu, wenn alte kaputt sind und nicht weil sie aus der Mode sind. Ich könnte eine lange Liste an Dingen schreiben, wie alt sie sind. Unser Toaster und Eierkocher haben 25 Jahre auf dem Buckel, meine Pfannen sind 45 Jahre alt und der Fernseher
      10 Jahre. Meine Skitourenhosen sind mind. 15 Jahre alt, ebenso meine Telemarkskier, die mir schon seit 10 Jahren ihren Dienst erweisen. Aber die Werbung schafft es ziemlich raffiniert, ein Habenwollen Gefühl zu schaffen. Ich habe darum schon vor langer Zeit, einen "Keine Werbung" Aufkleber am Briefkasten montiert.
      Liebe Grüsse

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  2. Liebe Paula,
    Glück hat wirklich nichts mit Reichtum zu tun und das ist auch gut so:)
    Oftmals ist es ja das kleine Glück,welches uns zufrieden macht!
    Du wirst es nicht glauben,aber einen neuen Toaster musste ich heute kaufen,da der alte die Toastbrote fast verbrennen ließ...
    Es ist wirklich so,daß gerade technische Geräte leider nicht mehr so eine lange Lebensdauer haben (sollen).
    Das alte Rührgerät,welches ich von Oma damals geschenkt bekam (wurde noch in der DDR produziert),funktioniert heute noch!
    Ganz liebe Montagsgrüße von
    Kristin

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  3. Was für eine schöne, sinnige Geschichte du da wieder geschrieben hast und wie recht Alfred doch in allem hat!
    Ich schaffe es leider diese Wochen nicht, eine Geschichte zu schreiben. Aber ich hatte ja auch noch nicht seit Dezember Zeit, mir etwas zu überlegen ;-)
    ♥ Monika

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Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.