Kurz.ge.schich.te No°33 {Pause}

by - März 29, 2020

Liebe BlogleserInnen

In meinem 12tel Blick Beitrag habe ich euch angetönt, dass das Leben gerade Kopf steht. Nicht nur bei uns, fast auf der ganzen Welt ist nichts mehr wie es einmal war. Aber was macht dieser Kopfstand mit uns? Was macht diese neue Situation mit euch, mit mir, mit der Gesellschaft? Mein Hirn ist so voll mit Gedanken, dass ich manchmal gar nicht weiss wie mir geschieht. Noch vor ein paar Wochen durften wir in der Yogaklasse den Kopfstand üben. Ich habe ihn vorsichtshalber an der Wand probiert. Und es hat sich toll angefühlt, die Welt ein Weilchen verkehrtherum zu betrachten. Doch jetzt, wo sich die Welt selbst auf den Kopf gestellt hat, weiss ich manchmal nicht, wo oben und unten ist. So versuche ich das Erlebte der letzten Wochen nach und nach in Geschichten, Erzählungen und Gedichte zu fassen. Notizen habe ich mehr als genug gemacht. Aber wo fange ich an? Genau, mit einem Piktogramm aus dem Baumwollbeutel



Pause

Das Jahr hat mühsam angefangen. Nach der Hektik im letzten Jahr, brach die Müdigkeit Anfangs Januar mit voller Wucht über mich. Lange Zeit fühlte ich mich schlapp und energielos, hatte oft Kopfschmerzen. Die Tage überstand ich nur mit einem Mittagsschlaf. Dank alternativmedizinischen Mineralsalzen und den wohltuenden Behandlungen meiner Craniosakral-Therapeutin, erweckten meine Lebensgeister aber gottlob wieder zu neuer Kraft. Mitte Februar fühlte ich mich bereit, die Abenteuer des neuen Jahrzehntes endlich in Angriff zu nehmen. Der Kopf war voller kreativer Ideen. Wir genossen bei traumhaften Wetterbedingungen die Fasnacht und die Skipisten. Am Rande vernahm man aus den Medien, dass in China ein neuartiges Grippevirus ausgebrochen sei. Aber China ist weit weg. Die Erde ist gross. Die Nachrichten um die Vermehrung des Virus und den steigenden Todeszahlen mehrten sich zwar, aber das Virus tuckerte in der Geschwindigkeit eines Bummler Zuges Richtung Europa.
Eines Tages kam mein Mann von seiner Arbeit als Bergführer nach Hause und berichtete, der Busparkplatz der Bergbahnen sei leer. Die asiatischen Touristen kämen wegen dieses Virus nicht mehr in die Schweiz und auf unseren berühmten Berg. Diese Tatsache war vorauszusehen. Ähnliches hatten wir bereits bei der Vogel- und Schweinegrippe erlebt. Aber als wirkliche Bedrohung empfand ich diese Begebenheit noch nicht.
Kurze Zeit später berichteten die Medien, das Virus sei in Italien angekommen. Der Bummler Zug war jetzt als Interregio unterwegs. Der Alltag schien aber weiterhin überschaubar und ruhig. Aber der Interregio Zug hatte es eilig. Er verwandelte sich in einen Schnellzug und erreichte in rasender Geschwindigkeit das Tessin. Schneller als uns lieb war, kam die Kacke zum dampfen. Denn wie sonst kann man sich erklären, dass die Bevölkerung anfing sich mit WC Papier einzudecken? Die Regale wurden leer gekauft und die Notvorräte aufgestockt. Neben Klopapier wurden in den Läden auch Teigwaren und Konserven gehamstert. Und Desinfektionsmittel und Seife.
Diese Nachrichten erreichten auch unser Bergtal. Aber noch immer schien das Virus vernab, zwei Autostunden entfernt. Über den Gotthard und die Berge konnte es gottlob nicht. Die meisten Pässe haben noch Wintersperre. So vollzog sich der Alltag weiterhin in ruhigen Bahnen. Auch die Wintersportwoche der Kinder wurde in der zweiten Märzwoche mit einigen kleinen Änderungen trotz allem, oder gottlob, noch durchgeführt. Ich genoss die besagte Woche in vollen Zügen. Die Kinder verliessen morgens um halb neun Uhr das Haus und kamen erst am späteren Nachmittag zurück. Da mein Mann von Berufswegen tagsüber selten zu Hause ist, verbrachte ich mit einer Freundin ein paar schöne Stunden auf der Piste.
Mitte März fingen die Nachrichten an sich zu überschlagen. Im Büro meines Mannes wurden Buchungen von verängstigten Kunden reihum storniert. Auch aus den Hotels vernahm man, dass die Gäste wegen Convid-19, wie das Virus mittlerweile genannt wird, vermehrt ihre Zimmerreservierungen absagen.
Durch die Stornierungen hatte mein Mann unverhofft Zeit, mit mir eine Skitour fernab des Pistenrummels zu unternehmen. Denn Rummel herrschte hier tatsächlich. Die Talstation und Bergrestaurants waren Morgens und Mittags randvoll mit sonnenhungrigen Touristen, in leiser Vorahnung, dass dieser Spass bald ein Ende haben könnte.
Am letzten Tag der Wintersportwoche erreichte uns die Hiobsbotschaft, dass ab Montag 16. März bis zum 4. April landesweit alles Schulen geschlossen bleiben. Und auch Sportbetriebe mussten per sofort ihre Türen schliessen. Unsere Kinder reagierten verhalten darauf. Meinte Mami diese Botschaft wirklich ernst?
Am Montag des 16. März unternahm ich mit einer Freundin und ihren Kindern einen Ausflug in die Natur. Wir haben ein Feuer gemacht und die Sonne genossen. Die Kinder haben Fangen gespielt und sich die Zeit mit Match und Wasser vertrieben. Ich war gedanklich immer wieder bei meiner Arbeitsstelle, einem kleinen Laden im Dorf, in dem ich seit 22 Jahren arbeite. Mussten auch diese Türen bald geschlossen werden?
Um siebzehn Uhr, wir waren bereits wieder zu Hause, dann die Mitteilung des Bundesrates, dass ab Mitternacht alle Gäschfte ohne Waren des täglichen Bedarfs geschlossen bleiben, als Vorsichtsmassnahme zur Ausbreitung gegen Corona. Somit hatte ich als Verkäuferin ab sofort alle Zeit der Welt, meine Kinder im Homeschooling zu unterstützen. Wäre da nicht die Tatsache, dass ich mit 20% an diesem kleinen Laden beteiligt bin und als Selbständige kein Arbeitslosengeld beziehen kann, hätte mir dieser Gedanke vielleicht sogar Freude bereitet. Tags darauf erreichte uns schliesslich Hiobsbotschaft Nummer drei. Per sofort wurde auch ein Berufsverbot für Bergführer ausgesprochen. Somit hatte auch mein Mann per sofort alle Zeit der Welt für das Homeschooling der Kinder und als Selbständiger ebenfalls keinen Anspruch auf Lohnersatz.

Ohne recht zu begreifen, welche Konsequenzen diese Verbote und Schliessungen haben werden, hat dieses Virus auf unbestimmte Zeit die Pausentaste gedrückt. Für uns und ganz viele andere Menschen auf der Welt.

* * * * *

An dieser Stelle drücke ich die Pausentaste für meine Geschichte. Ich ziehe ein neues Piktogramm und versuche die Geschehnisse der letzten zwei Wochen anhand meiner Notizen irgendwo weiter zu spinnen. Gefühle, Gedanken, Ängste, Freuden und Erlebnisse gab es bis jetzt genug. Ihr dürft also gespannt sein, wo und wie die Geschichte weiter geht. 

Liebe Grüsse Paula


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1 Liebe Worte

  1. Tja, liebe Paula, ich fürchte, das wird keine kurze Geschichte... und ich weiss irgendwie grad gar nichts mehr zu sagen...
    Dass man uns das Privat- und Sozialleben so rigoros beschneiden darf, während wir weiterhin der Wirtschaft dienen sollen... das schockiert mich zutiefst und passt so gar nicht zu meinen Werten.
    Ein kleiner Lichtblick ist vielleicht, dass Selbständige, die einen vollständigen Einkommensausfall haben nun vermutlich doch einen Erwerbsersatz kriegen. Ich möchte es euch sooo gönnen!
    Herzlich, Monika

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Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, ein paar liebe Worte da zu lassen.